Hochsensible – nicht ganz von dieser Welt

Mammutbaum vor rotem Himmel

Hochsensible – nicht ganz von dieser Welt

Wir leben in einer Zeit, in der spirituelles Bewusstsein sich leichter entfalten kann als jemals zuvor. Viele Menschen spüren dieses spirituelle Suchen. Besonders intensiv begegnet es mir bei hochsensiblen Menschen. Ein ausgeprägter Draht nach oben ist für viele HSP eine Selbstverständlichkeit.

Das Zusammenwirken übergeordneter Kräfte, das Begreifen von Zusammenhängen in einem spirituellen Kontext, das Suchen nach der eigenen Bestimmung und dem tieferen Sinn im eigenen Leben ist die Grundmelodie für viele von uns. Wir bringen extrem feine Sensoren für all das mit, was man als übernatürlich, göttlich oder aus der geistigen Welt kommend bezeichnen könnte.

Und gleichzeitig gewinne ich bei manchen Menschen, die über dieses ausgeprägte spirituelle Gespür verfügen, den Eindruck, dass sie sich in der geistigen Welt mehr zu Hause fühlen als in der irdischen Realität. Es ist fast so, als sei der Körper nur zufällig hier auf dieser Erde gelandet, während die Seele weiter in ihrer geistigen Heimat weilt. Kommt dir das bekannt vor?

Manche meiner Klienten formulieren sogar, dass sie eigentlich nicht wirklich hier sein möchten. Die Realität scheint viel zu hart, zu laut, zu grob, zu unfreundlich zu sein. Die Art wie Menschen miteinander umgehen, irritiert,  verstört, stößt ab. Sie verstehen diese reale Welt nicht so richtig. Und die meisten von ihnen haben auch tatsächlich selber große Not erfahren, manchmal mehr als aushaltbar war. Und damit meine ich nicht zwingend körperliche Gewalt oder Missbrauch. Seelische Not, früher Beziehungsabbruch und das daraus resultierende Gefühle von tiefer Einsamkeit sind weit häufiger. Und gleichzeitig sind sie so viel schwerer zu enttarnen, weil sie auch in sogenannten „heilen“ Familien vorkommt. Sie zeigen sich auch bei Menschen, die von sich sagen, sie hätten eine glückliche Kindheit gehabt.

Was bei vielen emotional stark belasteten Hochsensiblen sehr früh geschieht, ist eine Art Flucht. Kinder bauen sich in eine Phantasiewelt auf oder schalten sich ab ohne genau zu sagen, wo sie in solchen Momenten wirklich sind. „Ich bin nicht da“ ist die Beschreibung einer Jugendlichen dieses Zustandes, eine andere kündigt den inneren Rückzug an mit den Worten: „Ich geh dann mal hoch.“

Bei Erwachsenen kann dieses Ausklinken aus der Realität sich als Traum von einer besseren Welt zeigen oder äußert sich in exzessivem Meditieren, was dann nicht eine Hilfe für das Leben in dieser Welt ist, sondern eine Flucht vor ihr. Ich erlebe häufig, wie Menschen sich mit großer Hartnäckigkeit gegen ganz reale (unangenehme) Tatsachen sträuben, indem sie sie für sich uminterpretieren. Sie unterstellen der missgünstigen Kollegin positive Motive oder sagen von ihrem kontrollwütigen Vater mit großer Überzeugtheit: „Er meint es doch nur gut.“

Kennst du das? Denkst du dir die Welt auch manchmal schöner als sie wirklich ist?

Der Schritt, der hier notwendig wäre, ist, das was passiert, erst einmal als das wahrzunehmen, als das es sich äußert. Die Freundin, die dich regelmäßig mit ihren Problemen anruft, sich aber nie ernsthaft nach dir erkundigt, ist vielleicht nicht wirklich eine gute Freundin auf Augenhöhe, sondern möglicherweise mehr an deinen Leistungen als Zuhörerin interessiert als an dir als Mensch. Und der Partner, der dir durchgehend keine Aufmerksamkeit schenkt, sondern sich hinter der Arbeit verschanzt ist nicht zwingend der wohlsorgende Ehemann, der dieses Verhalten zum Wohle der Familie tut.

Eine weitere Art die Realität auszublenden ist das Ignorieren des eigenen Körpers. Der Körper ist unser Vehikel hier in dieser Realität. Durch ihn nehmen wir diese Welt wahr – mitunter schmerzlich. Wenn wir die Realität ausblenden, geschieht fast immer auch ein partielles oder auch umfängliches Ausblenden von Körpersignalen. Der Körper wird mitunter einfach nur als lästig empfunden, beispielsweise, wenn er durch Krankheitssymptome, Migräne oder Verletzungen auf sich aufmerksam macht. Man versucht, ihn so schnell wie möglich wieder zum Funktionieren zu bringen. Eine Krankheit, die das sehr anschaulich zeigt – und bei Hochsensiblen verstärkt auftritt – ist die Fibromyalgie. Es ist ein Schmerzgeschehen, das den ganzen Körper betreffen kann und keine eindeutige Ursache zu haben scheint. Ich bin der Überzeugung, dass es der körperliche Ausdruck für lang anhaltenden seelische Überlastung ist, die auf Seelenebene nicht beachtet wird.

Auch hier gilt es, die Wahrnehmung wieder mit ins Boot zu holen, den Körper wieder in all seiner Vielfalt spüren zu lernen. Die Verspannungen, Schmerzen und Einschränkungen genauso wie Wohlgefühl, Beweglichkeit und Entspannung. Was du für diese Körperwahrnehmung tun kannst:

Schenke dir jeden Tag eine Fühlzeit. Eine Zeit in der du nicht gestört wirst, in der du mit der Aufmerksamkeit durch deinen Körper wanderst und wertfrei beobachtest, was da ist. Nur wahrnehmen, nicht beurteilen. Wenn man etwas Übung darin hat, kann man dies immer wieder in den Tag einbauen, an der Bushaltestelle, im Büro, sogar im Kontakt mit anderen Menschen: Eine kurze Bestandsaufnahme mit der Frage: Was fühle ich gerade? Was nehme ich wahr?

Diese wertfreie Wahrnehmung ist die Ausgangsbasis für einen neuen Blick auf die Realität. Einen Blick, der sich nicht aus Wunschdenken zusammensetzt, sondern dessen Grundlage der Mut ist, sich einer ehrlichen Auseinandersetzung mit der Realität zu stellen. Das zu entdecken, was ist.

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