Bedürfnisse mitteilen – nicht einfach, aber wichtig!

Herz auf dem wish steht.

Bedürfnisse mitteilen – nicht einfach, aber wichtig!

Wie oft lassen wir uns von den Impulsen, Wünschen und Bedürfnissen anderer Menschen eine Richtung vorgeben? Vor allem introvertierte oder stark harmoniestrebende Menschen sind zögerlich, selbst eine Richtung zu bestimmen. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, dass du mitbekommst, was du dir wünschst und welche Bedürfnisse du hast. Denn wie sollen sie erfüllt werden, wenn du sie nicht formulierst? Möchtest du darauf warten, dass sie jemand errät oder dir von den Augen abliest?

Tatsächlich verhalten sich sehr viele Menschen genau so. Das geht so weit, dass sie vom Partner oder der Partnerin genau das erwarten: „Er/sie muss doch fühlen, was ich brauche.“

Nein. Muss er/sie nicht. Bei der Erfüllung deiner Bedürfnisse bist DU gefragt. Spätestens dann, wenn du erwachsen bist.

Seine Bedürfnisse zu formulieren ist manchmal gar nicht so leicht

In unserem Seminar hatten wir diese Situation: Es gab eine Nachmittagssequenz, für die die Gestaltung noch offen war. Ich fragte in die Runde, welche Wünsche und Bedürfnisse es gebe. Es kamen keine Antworten. Ich sprach die TeilnehmerInnen einzeln an. Darauf sagte eine Frau als Begründung, warum sie nichts sage: „Ich möchte gerade nichts geben.“ Wir beleuchteten diese Aussage etwas genauer und das Bedürfnis, das sich dahinter versteckte, war: Sie wollte sehr gerne etwas Entspannendes, Fürsorgliches empfangen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen.

Dieses völlig legitime Bedürfnis war aber hinter einem Berg an Glaubenssätzen versteckt, die vermutlich viele Menschen kennen:

  • Es muss immer ausgeglichen sein.
  • Wenn ich etwas bekomme, muss ich etwas dafür tun.
  • Niemand kümmert sich aus freien Stücken um mein Wohl.
  • Wenn ich etwas einfach nur bekommen möchte, ist das egoistisch.
  • Meine Wünsche spielen keine Rolle.
  • Andere sind wichtiger.
  • Ich kann mich doch nicht so in den Mittelpunkt stellen.

 

Eine zweite Teilnehmerin formulierte den Wunsch, sie würde gerne tanzen. Kaum war der Wunsch formuliert, kam bereits die Relativierung: Aber wenn wir meinem Wunsch nachkommen, dann haben ja die Wünsche der anderen keinen Platz mehr.

Kennst du diesen Mechanismus? In diesem Seminar waren ausschließlich sehr bewusste und erfahrene TeilnehmerInnen. Und dennoch mussten etliche Hürden überwunden werden, bis sie sich ihre Wünsche und Bedürfnisse eingestehen und aussprechen konnten.

Und weißt du, was in der Umsetzung geschah? Alle bekamen genau das, was sie sich gewünscht hatten. Niemand ging leer aus. Es passte wunderbar zusammen und keiner musste verzichten oder sich krumm legen. Doch das konnte nur geschehen, weil wir das Forschen und Suchen ernst genommen haben. Die einfache Frage „Welche Wünsche habt ihr für die Gestaltung der nächsten 2 Stunden?“ hat nicht gereicht.

Warum tun wir uns so schwer, unsere Bedürfnisse zu formulieren?

Vielleicht beobachtest du mal, wie Menschen deiner Umgebung ihre Wünsche ausdrücken. Meine Erfahrung mit der älteren Generation ist, dass  eine direkte Formulierung fast nicht möglich ist. Hier ein paar Beispiele:

„Dass du dich auch mal wieder blicken lässt!“ soll vermutlich heißen: Ich habe dich vermisst und würde dich gerne öfter sehen.

„Rufst du auch mal wieder an!“ würde ich übersetzen mit: Ich wünsche mir, dass DU mich anrufst, weil ich dann merke, dass ich dir wichtig bin.

„Bei euch ging es ja lebhaft zu.“ kann, versehen mit dem entsprechenden Tonfall heißen: Es war mir zu laut. Ich hätte gerne Ruhe gehabt. oder: Ich wäre gerne dabei gewesen, als ihr Spaß hattet.

„Dann muss ich das halt selber machen!“ würde ich übersetzen: Ich wünsche mir deine Hilfe dabei.

Meine Oma formulierte einmal, als sie sich mit weit über 80 gar nicht mehr gut bewegen konnte: „Dann muss ich da mal diese Ecke tapezieren.“ was eine klare Aufforderung an meinen Vater sein sollte, sich darum zu kümmern.

Wie ausgebildet ist dein Appell-Ohr?

Menschen, in deren familiärem Umfeld in erster Linie auf solch eine indirekte Art kommuniziert wurde, haben ihr Apell-Ohr meist sehr gut entwickelt. Sie wittern eine Aufforderung auch dort, wo es gar keine gibt. In vorauseilendem Gehorsam erfüllen sie vermeintliche Wünsche, die weder formuliert, ja oft nicht einmal gefühlt wurden. Im Gegenzug erwarten sie dann häufig, dass andere sich ihnen gegenüber genauso verhalten. Das führt zu Missverständnissen und Unzufriedenheit. Wir müssen lernen, uns unserer Wünsche und Bedürfnisse bewusst zu werden, da sonst unser Wohlergehen auf der Strecke bleibt.

Gerade für hochsensible Menschen ist dies besonders wichtig

Wer eine besonders feine Reizwahrnehmung hat, MUSS lernen, gut für sich zu sorgen. Kein Mensch außer dir selbst kann erahnen, welche Reize für dich noch verträglich sind und worunter du bereits leidest. Für den Einen ist eine Lampe zu wenig oder zu viel eine Stressquelle, ein anderer leidet, wenn Menschen in seiner Gegenwart Parfüm benutzen oder er auf einem Platz sitzt, der für ihn nicht stimmt. Die Befindlichkeiten hochsensibler Menschen sind zahlreich.

Das Gute ist: Auf die meisten Bedürfnisse kann man reagieren. Wenn sie ausgesprochen werden. Und da wo wirklich in dem Moment nichts zu machen ist, da hilft es oft schon, dass es gehört wurde.

Wie geht es dir mit dem Thema? Wie sehr nimmst du deine Wünsche und Bedürfnisse wahr, auch wenn sie sich vielleicht nur ganz leise äußern? Traust du dich sie zu formulieren? Ich glaube, hier können wir alle noch dazu lernen.

Die meisten Menschen, die ich kenne, wollen gerne dazu beitragen, dass es anderen gut geht. Insofern ist es fast so etwas wie das Vorenthalten wichtiger Informationen, wenn ich mich ihnen nicht mitteile.

Nimm diese Gedanken gerne mit ins familiäre Weihnachtsfest. Könnte nützlich sein.

 

Foto: martinnlp90

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