Wenn man Opfer von Narzissmus wird

Wenn man Opfer von Narzissmus wird

Derzeit beschäftigt mich verstärkt das Thema Narzissmus. Kaum eine andere Störungsthematik hinterlässt solch eine Hilflosigkeit und innere Bewältigungsnot bei Opfern wie Narzissmus. Dies wird meine persönliche Auseinandersetzung mit der Thematik mit konstruktiven Ansätzen, wenn erkennt, dass man selbst an einen narzisstischen Chef oder Partner geraten ist. (Ich erlaube mir, hier die männliche Form zu verwenden und weise darauf hin, dass es auch narzisstische Frauen gibt, wenn auch deutlich seltener.)

Was ist Narzissmus?

Vorwegschicken möchte ich, dass es sehr viele Schattierungen gibt. Nicht jeder Mensch mit narzisstischen Tendenzen hat gleich eine tiefe Persönlichkeitsstörung. Als Faustregel finde ich den „Narzissmusindex“ von Dr. Pablo Hagemeyer hilfreich.

Danach sprechen wir von einer destruktiven Ausprägung von Narzissmus, wenn Selbstbezogenheit und Fremdbeschädigung über einen längeren Zeitraum zusammenwirken. Selbstbezogenheit alleine ist noch nicht verwerflich. Mit solchen Menschen ist man vielleicht auf Dauer nicht gerne zusammen, aber wenn die Selbstbezogenheit so ausgeprägt ist, dass der Mensch nicht mehr wahrnimmt, wann er andere Menschen verletzt (oder es ihm egal ist), dann haben wir es mit destruktivem Narzissmus zu tun.

Ins Unrecht gesetzt werden ist ein Merkmal

Die Beschreibung einer Kollegin hat mich sehr angesprochen: „In meiner Praxis erlebe ich, dass sich Narzissmus dadurch auszeichnet, dass bei einem Hinweis auf eigene Fehler keine Reflexion des eigenen Verhaltens erfolgt, sondern ein Angriff (Erstreaktion) und der Fehler direkt zurück gegeben wird an den Kritiker. Argumentativ wird der Fehler so aufgebauscht, dass die eigentliche Kritik völlig darin unter geht. Und meistens der Kritiker beschämt von dannen zieht, weil da ja was dran sein könnte.

Ggf. wird noch damit argumentiert, dass der Kritiker die eigenen dunklen Seiten nicht sieht und doch bitte diese zu bearbeiten hat, bevor er die Frechheit besitzt Kritik zu üben.

Damit ist jede Kritik im Keim erstickt. Ein geschicktes Vorgehen, was zu absoluter Verwirrung führt.“

Ein weiterer Punkt ist – und der erklärt viel von der Dynamik dieses Prozesses: Narzissen haben die Fähigkeit, sich extrem gut zu verkaufen. Sie können sich öffentlichkeitswirksam so dermaßen gut darstellen, dass der Betrachter ihnen ihre Sichtweise sofort abnimmt und sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass es eine andere Sichtweise geben könnte. Selbst belegbare Fakten verschwinden hinter dieser gekonnten Außenwirkung.

Der Mensch, der den Narzissten aufgrund handfester Vorkommnisse kritisiert hat, steht dann leicht als der Schuldige und Verursacher da. Durch die Ablenkstrategie auf Nebenschauplätze und die Ursachenumkehr in Kombination mit großer Überzeugungskraft in der Selbstdarstellung, scheint der Narzisst im Recht zu sein. Die Fans applaudieren, der Kritiker beginnt an sich selbst zu zweifeln. Er sucht den Fehler bei sich und verliert die Fakten aus dem Blick. Es braucht viel Kraft und Hintergrundwissen, um diese Dynamik zu durchschauen und sich daraus zu befreien.

Wenn Fakten keine Rolle mehr spielen

Ein Besorgnis erregendes Phänomen der heutigen Zeit ist, dass Fakten immer weniger Wert beigemessen wird. Die Ära Trump hat uns das in erschreckender Weise vorgeführt. Wenn belegbare Unwahrheiten nicht mehr wahrgenommen werden, weil die Überzeugungskraft so stark ist, wird es doppelt schwer für die Opfer, Gehör zu finden.

Wie befreit man sich aus der Verstrickung in narzisstischen Systemen?

  1. Als erstes ist es wichtig, die perfide Dynamik zu erkennen. Erst wenn ein Opfer begreift, dass die Verunsicherung des Gegenübers zum Programm des Narzissten gehört, kann es die Deutungshoheit über die eigene Wahrnehmung zurück gewinnen.
  2. Fakten sammeln. Es ist wichtig zur eigenen Stärkung, sich immer wieder belegte Fakten vor Augen zu führen, denn als Kritiker eines Narzissten steht man ziemlich alleine da. Ein narzisstischer Chef arbeitet mit Zuckerbrot und Peitsche. Die Atmosphäre kann unterschwellig von Angst geprägt sein, doch die Worte suggerieren eine Wertschätzung, die eine alte Sehnsucht nährt: Die Sehnsucht nach der Anerkennung durch den Vater. Wer „auf Spur“ läuft, bekommt sie – wohldosiert. Die Wertschätzung wird auf einer ängstlichen Grundstimmung gezielt eingesetzt. Sobald jemand aber das System oder den Chef selbst hinterfragt und die eigene Wahrnehmung für richtiger hält, beginnt die Destabilisierung und Entwertung vor der Gruppe.
  3. Es gelingt meistens nur Einzelnen sich aus diesem System zu befreien. Ein nicht-narzisstischer Mensch wird nie die breite Masse hinter sich versammeln, da er nicht die gleichen Methoden benutzt. Er muss also meist für sich alleine seinen Weg finden.
  4. Das System verlassen. Dies ist der wichtigste, ganz praktische Schritt, um wieder klar zu werden: Man muss den narzisstischen Menschen auf Abstand bringen. In dieser Phase ist es wichtig, Menschen zu haben, die einen stärken und einem dabei helfen, wieder zu sich und zur eigenen Wahrheit zu finden. Das kann ein Coach oder Therapeut sein oder andere Menschen, die einen ernst nehmen und unterstützen.
  5. Verarbeiten. Die Erlebnisse zu verarbeiten, die mit einer narzisstischen Struktur zu tun haben, ist anspruchsvoll und braucht Zeit. In den Kampf zu ziehen, (was der verletzte innere Anteil vielleicht möchte), ist häufig aussichtslos. Die breite Masse sowie sein Erfolg scheinen dem Narzissten so sehr Recht zu geben. Ihn zur Einsicht zu bekehren, ist ebenfalls ein aussichtsloses Unterfangen. Eine solche Struktur hat sich aus sehr starken Motiven heraus entwickelt und wird jedes Mittel nutzen, um die Stabilität zu bewahren.

Sich an einem destruktiven Narzissten abzuarbeiten, kann sehr viel Kraft kosten. Sofern es nicht um ganz klare, belegbare Tatsachen geht, ist es vermutlich aussichtslos.

Wie kann man trotzdem seinen Frieden machen?

Ich erlebe es bei Betroffenen, wie schwer es ist, auszuhalten, dass man keinen Einfluss nehmen kann. Es ist so als würden alle Synapsen nach Gerechtigkeit rufen und genau diese kann aber nicht hergestellt werden.

„Warte nicht auf die Lösung im Außen, sondern erlöse den Schmerz in dir.“ (Br. Theophilos)

An den Versuchen, das kranke System im Außen zu bekämpfen, kann man sich verausgaben und sehr viel Kraft lassen. Außerdem hält dieser Kampf energetisch die Verbindung zum Täter aufrecht. Ob man das möchte, sollte man sich sehr genau überlegen. Meistens steckt dahinter der Wunsch, am Ende doch Recht zu bekommen.

Der einzige Mensch, an dem man wirklich etwas verändern kann, ist man selbst. Hier ein Zitat von Nelson Mandela über seine Haltung, als er nach 27 Jahren das Gefängnis verließ: „Als ich durch die Tür trat und auf das Tor zuging, das in die Freiheit führte, wusste ich, wenn ich meine Bitterkeit und meinen Hass nicht hinter mir ließe, würde ich weiter im Gefängnis leben.“

Ich glaube, dass der Weg nach Innen den wirklichen Frieden bringt. Man kann sich fragen, was einen dazu gebracht hat, sich an einen solchen Menschen zu binden. Warum hat man das Muster nicht früher durchschaut? Welcher Mangel an Selbstwert existiert da noch, der einen blind gemacht hat für die kranken Strukturen? Welcher unterschwelligen Sehnsucht ist man gefolgt? Was passiert, wenn ich das Recht bekommen wollen aufgebe?

Ich glaube, dass Fragen dieser Art einen zum eigenen Schmerz führen werden, zu einem Schmerz, dessen Ursache viel früher entstanden ist, als diese Ereignisse. Wenn man einem Menschen, der einem nicht guttut, so viel Raum gibt, hat man etwas übersehen. Es gibt quasi in der Selbstfürsorge eine offene Flanke, wo diese Ereignisse angreifen konnten.

Diese gilt es zu schließen. Wenn wir dies tun, ist das ein Akt der Selbstliebe und Selbstfürsorge. Dann kommt etwas in Ordnung, weil wir uns liebevoll um uns selbst kümmern. Dein Inneres wird das als richtig und heilsam begreifen und sich beruhigen.

Mit diesem Weg der Selbsterkenntnis beendest du deine Resonanz auf etwas Unheiles, Gestörtes. Du stehst dann als Empfänger für die narzisstische Frequenz nicht mehr zur Verfügung, sondern richtest dich auf gesundes, wertschätzendes Miteinander aus.

Aus meiner Sicht ist das echte Friedensarbeit.

Zum Wohle das Ganzen.

 

 

 

Foto: Anja bei pixabay

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