Wenn Gefühle dich überfluten

emotionaler Strudel

Wenn Gefühle dich überfluten

Kennst du Situationen, in denen du in einen emotionalen Strudel gerätst? In denen die Emotionen so stark sind, dass sie dir in Sekundenschnelle deine Fassung rauben, dein Selbstwertgefühl zerschießen, die Welt in düstersten Farben erscheinen lassen oder das Gefühl absoluter Hilflosigkeit erzeugen? In diesen Momenten fragen wir uns, was wir denn eigentlich gelernt haben in all den Seminaren, durch all die Bücher, in der Therapie…

Intensive Gefühle

Die Intensität dieser Gefühle deuten darauf hin, dass hier eine traumatische Erfahrung anspringt, eine Erfahrung, die aus einer ganz anderen Zeit (häufig aus der Kindheit) kommt und die aktiviert wurde.

Stell dir ein kleines Kind vor, das wütend oder traurig ist. Es lebt dieses Gefühl mit jeder Faser seines Wesens. Es schmeißt sich auf den Boden, weint, schreit, tobt, beschimpft die Eltern und drückt vollkommene Verzweiflung aus. Kinder erleben Emotionen sehr pur und ohne einordnenden Kontext.

Dieselbe Intensität erlebst du – allerdings nun als erwachsener Mensch – wenn schmerzhafte, traumatisch belastete Anteile aus der Kindheit sich melden. Die Intensität der Gefühle ist ein Indikator dafür, dass diese emotionale Qualität

  1. sehr früh entstanden ist, in einer Zeit als Kind, in der jedes Gefühl als sehr pur und alles beherrschend erlebt wurde und/oder
  2. einer traumatischen Belastung entspringt.

Charakteristisch für Trauma ist, dass ein Erlebnis oder eine Erlebensspanne als überwältigend erlebt wurde und von uns nicht integriert werden konnte. Das Erlebnis war entweder sehr heftig oder sehr lang andauernd. Stress, der das Maß übersteigt, das der Mensch noch verarbeiten kann, führt dazu, dass die Schutzmechanismen des autonomen Nervensystems greifen. Die Erinnerungen an diese übermäßig belastende Situation und an die damit verbundenen Emotionen werden nicht integriert, sondern „fragmentiert“ abgespeichert. Sie stehen dem Menschen damit nicht als ganze, abrufbare Erinnerungen (mit einem Anfang, einem Verlauf, einem Ende und einem Sinn) zur Verfügung, sondern als losgelöste Emotionen mit Trigger-Qualität.

Trigger sind die Auslöser, die uns in Sekundenschnelle in die Erlebensqualität von damals katapultieren können. Hilflosigkeit und Überforderung prägen dieses Erleben.

Was bedeutet Trauma?

Viele Menschen würden von sich selbst nicht sagen, dass sie Trauma-Erfahrungen in sich tragen. So habe ich vor ein paar Jahren auch noch von mir gedacht. Nach meinem jetzigen Verständnis aber glaube ich, dass hochsensible Menschen mehrheitlich traumatisch belastet sind. Dazu ist es aber wichtig zu begreifen, worum es bei dem Begriff überhaupt geht:

Unter dem Begriff „Trauma“ stellen sich die meisten Menschen Ereignisse von gewaltiger emotionaler Wucht vor: Einen Überfall, das Erleben einer Naturkatastrophe, Missbrauch, den plötzlichen Verlust eines nahen Menschen…

Das ist auch nicht falsch, schockartige überfordernde Ereignisse können Traumafolgen in einem Menschen hinterlassen. Wir sprechen hier vom Schock-Trauma. Doch gibt es eine Art von Trauma, das viel leiser entsteht und das sehr verbreitet ist, vor allem bei hochsensiblen Menschen: das Bindungstrauma.

Stabile Bindung

Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist es noch sehr unfertig. Es ist lange Zeit darauf angewiesen, dass man sich um es kümmert. Seine ganzen Überlebensinstinkte sind daher auf „Bindung“ ausgerichtet. In der Regel ist diese erste Bindungsperson die Mutter. Wenn eine Mutter in guter Verbindung mit ihrem Baby ist, kann sie seine Bedürfnisse fühlen/lesen/ahnen. Das Kind ist, da es sich nicht artikulieren kann, darauf angewiesen, dass die Mutter dies tut. Grundbedürfnisse wie Hunger, Müdigkeit, Nähe-Bedürfnis, Stimulation und Beruhigung, Wärme-Kälte-Empfinden werden im Idealfall von ihr erspürt und beantwortet.

Ich glaube, ich brauche nicht zu erwähnen, dass die allermeisten von uns hier keine Idealbedingungen vorgefunden haben. Natürlich sind diese Erfahrungen nicht immer traumatisch, doch gibt es Situationen, die besonderes Trauma-Potential mitbringen:

  1. Eine frühe Trennung (wie zB ein Krankenhausaufenthalt oder die Unterbringung bei einer anderen Person). Für das Baby oder Kleinkind ist dabei unerheblich, ob die Trennung notwendig oder freiwillig ist. Es kann eine lebensbedrohliche Not im Erleben entstehen.
  2. Die Mutter ist nicht in der Lage, das Kind zu „lesen“. Die Art, inwieweit die Bezugspersonen in der Lage sind, in echte Verbindung mit ihrem Kind zu gehen, legt die Bahnen im Nervensystem, die auch später in nahen Beziehungen eine Rolle spielen. Wenn ein Kind sich in den ersten Beziehungen nicht sicher fühlt (auch emotional sicher), kann dies zu tiefen Verletzungen mit Traumaqualität führen.

Stark verunsichernde oder verletzende Erlebnisse in den ersten Lebensjahren können nicht „reif“ verarbeitet und integriert werden. Sie bleiben als „heiße“ Gefühlsqualitäten im emotionalen Gedächtnis gespeichert. Diese Triggerpunkte sind wie Alarm-Knöpfe, die selbst nach vielen Jahren noch durch das passende Erlebnis ausgelöst werden können und dann dafür sorgen, dass wir in emotionale Strudel von hoher Intensität geraten. Sie bleiben aktiv, solange sie nicht integriert werden und versetzen uns in die oben beschriebenen Zustände, die so gar nicht zu unserem Erwachsenen-Ich zu passen scheinen.

Sich bewusst zu machen, dass es diese tief verletzten Anteile gibt und dass in den Momenten, wenn sie aktiviert werden, das autonome Nervensystem die Führung übernimmt, kann helfen, nachsichtiger mit dir umzugehen. Das Wissen darum, ein achtsamer, liebevoller Umgang damit und traumasensible Integration helfen langfristig dabei, diese emotionalen Strudel-Themen zu befrieden.

Es ist ein Prozess, der Geduld braucht. Sei sanft mit dir.

 

Ergänzend hierzu ein spontanes (und recht unperfektes) Video zum Thema „Trauma und Hochsensibilität“:

 

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