
Vom Antennen-Modus in die Schöpferkraft: Hol deine Energien zu dir zurück
Hochsensible Menschen sind wahre Meister der Wahrnehmung. Sie spüren feinste Stimmungen in ihrer Umgebung, nehmen Zwischentöne in Gesprächen wahr und haben ständig ihre Antennen ausgefahren. „Immer auf Empfang“ hieß deshalb auch mein erster Vortrag zum Thema Hochsensibilität. (mehr zum Vortrag)
Dieses intensive Erfassen der Außenwelt kann sich jedoch so stark auf das eigene Erleben auswirken, dass die Verbindung zur eigenen inneren Welt demgegenüber in den Hintergrund rückt. Doch was steckt dahinter – und wie kann der Weg zurück zu einem inneren Bei-sich-sein gelingen?
Warum wir unsere Antennen ausfahren
Viele Hochsensible haben in ihrer Lebensgeschichte erfahren, dass es notwendig war, ihre Umgebung genau im Blick zu behalten. Besonders dann, wenn frühe Erfahrungen im Elternhaus von Unsicherheit oder einer belasteten Atmosphäre geprägt waren. Vielleicht war es entscheidend, die Stimmung der Eltern oder anderer Bezugspersonen zu erspüren, um sich anpassen zu können und so möglichst sicher durch den Alltag zu navigieren.
Diese erlernte Wachsamkeit hat lange Schatten. Sie führt dazu, dass hochsensible Menschen sich oft stärker auf ihr Umfeld als auf sich selbst konzentrieren. Es kann zur Gewohnheit werden, immer erst zu schauen: Wie fühlen sich die anderen? Wie ist die Energie im Raum? Welche Erwartungen gibt es? Dadurch rückt das eigene innere Erleben in den Hintergrund. Das, was damals eine sinnvolle Überlebensstrategie war, kostet uns als Erwachsene Lebendigkeit und Einflussnahme. Ein Teil deiner Aufmerksamkeit – vielleicht der größere – ist mit der Umgebung und den Menschen um dich beschäftigt, wodurch du nicht richtig in dir bist.
Wenn die Energie woanders gebunden ist
Ein weiteres Phänomen von „nicht ganz in mir sein“ konnte ich in meinem Leben gerade feststellen. Es wurde durch das Leben an zwei Wohnorten verursacht: Ein Teil meiner Energie war immer ein Stückweit gebunden an dem Ort, an dem ich gerade nicht war. Die zweite Heimat musste in meinem System immer mitgedacht und mitgefühlt werden. Das hat ein richtiges Ankommen – an einem Ort und auch in mir – behindert.
Die Erfahrung, sich für einen einzigen Wohnort zu entscheiden, kann daher überraschend transformierend sein. Seit ich die andere Wohnung aus meinem Inneren verabschiedet habe, fühle ich, dass ich meine Energien zu mir zurück geholt habe, Energie, die vorher anderweitig gebunden war. Ich fühle ein tieferes Ankommen, an meinem Wohnort, in der Beziehung, in mir. Es entsteht ein neues Gefühl von innerer Stabilität und Gestaltungsfreude.
Vom Reagieren zum Mitgestalten
Dieses Ankommen in sich selbst ist essenziell für eine tiefere Form der Selbstbestimmtheit. Solange die Aufmerksamkeit hauptsächlich im Außen gebunden ist, bleibt man in einer reaktiven Haltung: Man nimmt wahr, fühlt mit, passt sich an oder re-agiert. Oft geschieht dies sehr automatisch, ohne dass es eine bewusste Wahl ist.
Doch wenn sich der Fokus mehr nach innen richtet, entsteht eine neue Kraft. Plötzlich ist da nicht nur das Erfassen der äußeren Welt, sondern auch ein Spüren der eigenen Bedürfnisse, Werte und Impulse. Und genau das ist der Punkt, an dem deine Lebensgestaltung beginnt:
- Statt dich von äußeren Stimmungen oder Erwartungen anderer leiten zu lassen, kannst du eigene Akzente zu setzen.
- Statt nur wahrzunehmen, was geschieht, kannst du bewusst Einfluss nehmen.
- Statt dich von äußeren Dynamiken mitreißen zu lassen, entscheidest du bewusst, ob du der Strömung folgst oder nicht.
Du wirst zum Gestalter/zur Gestalterin deines eigenen Lebens.
Diese innere Umstellung ist nicht von heute auf morgen getan. Sie ist ein sanfter, aber kraftvoller Prozess. Es beginnt damit, immer wieder innezuhalten und sich zu fragen: Wo ist meine Aufmerksamkeit gerade? Wie viel Prozent meiner Aufmerksamkeit sind gerade im Außen und wie viel bei mir?
Erlaube dir, wirklich hier zu sein – an einem Ort, in einem Moment – und vor allem – in dir selbst. Dann wird das Leben nicht mehr nur etwas, das auf dich wirkt, sondern etwas, das du aktiv gestaltest. Dann bist du ein wichtiger Mitspieler im Spiel des Lebens und kein Statist.
Mit feinen Antennen aus dem Inneren heraus leben
Hochsensibilität ist eine Gabe – doch sie entfaltet ihr volles Potenzial erst dann, wenn wir lernen, von innen heraus zu leben, statt von außen nach innen. Das bedeutet nicht, die feinen Antennen der Wahrnehmung abzulegen. Es bedeutet, sie bewusst einzusetzen, ohne sich von ihnen bestimmen zu lassen. (Wie das geht, konnte ich in meinem Umzug sehr gut erfahren, vielleicht scheibe ich noch darüber.)
Als sehr feinsinniger Mensch ist es eine Lernaufgabe, seine Energien wieder zu sich zurück zu holen und sich selbst als Zentrum des eigenen Erlebens wahrzunehmen.
Zu wissen:
Ich bin nicht nur Beobachter, sondern auch Schöpfer. Und es ist mein Recht, meinen Platz in dieser Welt mitzugestalten – aus meiner Mitte heraus, aus meiner eigenen Kraft.
Bild: Engin Akyurt