Hochsensibilität: Veranlagung, Prägung oder Modethema?

Löwenzahnblüten und Pusteblumen

Hochsensibilität: Veranlagung, Prägung oder Modethema?

Das Thema Hochsensibilität ist in vieler  Munde. Selbst die großen Medien berichten inzwischen darüber. Und auch die Skepsis wächst: Was ist dran an diesem Thema? Ist es wirklich eine Veranlagung – vielleicht sogar ein Geschenk – oder ist es einfach nur ein Modethema?

Ich finde es angemessen, diesem Thema mit einer gesunden Skepsis zu begegnen, denn tatsächlich wird die eigene sensible Veranlagung auf ganz unterschiedliche Weise zum Ausdruck gebracht:

Es gibt die Menschen, die den Begriff „Hochsensibilität“ benutzen, um zu begründen, warum sie nicht ins Handeln kommen, warum sie ihr Leben nicht aktiv gestalten und die Verantwortung dafür übernehmen. Sie verstecken sich hinter ihrer Veranlagung – sei sie nun tatsächlich vorhanden oder auch nicht.

Die HSP, mit denen ich zu tun habe, machen häufig genau das Gegenteil. Sie sind sehr zurückhaltend mit dem  Begriff und sagen selbst nach dem 5. Test, den sie mit maximaler Punktzahl abgeschlossen haben noch „Ich weiß ja nicht, ob das wirklich auf mich zutrifft…“ Hintergrund für diese vorsichtige Haltung ist häufig das Gefühl, keine Sonderrolle einnehmen zu wollen. Viele hochsensible Menschen streben mit aller Kraft danach, so normal wie möglich zu sein. Sie möchten einfach dazugehören. Was so verständlich ist!

Und genau dies geht nicht so leicht. Denn Hochsensibilität bedeutet, dass du tatsächlich in manchem anders tickst als die Mehrheit der Menschen. Du nimmst die Welt anders wahr, leidest stärker unter Missständen und Ungerechtigkeiten, bist reizempfänglicher und hast ein Gespür für Stimmungen oder Einflüsse, die andere Menschen überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen.

Doch woher kommt das? Ist es ein angeborenes Talent, eine Begabung, die einen Sinn hat? Liegen die Ursprünge in frühkindlichen Erlebnissen? Oder ist es vielleicht doch nur ein gehyptes Modethema?

Ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass das Thema jetzt – in Zeiten großer Umbrüche – ins öffentliche Bewusstsein dringt. Denn: Hochsensible Menschen sind von ihrem Naturell her echte Weltverbesserer! Dass sie unter den Gegebenheiten leiden ist gleichzeitig der Motor, Veränderung zum Besseren auf den Weg zu bringen. Hier liegt im Wesen der besonders sensiblen Menschen ein wahrer Schatz, den es zu heben gilt. Denn Hochsensible sind zusätzlich zu ihrer feinen Wahrnehmung häufig mit weiteren wundervollen Gaben ausgestattet:

  • Sie erkennen Zusammenhänge und entwickeln ein übergeordnetes Verständnis für die Welt,
  • gleichzeitig sind sie in der Lage Details sehr genau wahrzunehmen,
  • sie möchten sich gerne für ein höheres Ziel einsetzen, etwas zur Verbesserung beitragen,
  • sie haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit
  • und sehr viel Empathie.

 

Dass die Natur hochsensible Menschen hervorbringt, hat aus meiner Sicht verschiedene Ursachen:

Was dafür spricht, dass eine feinere Wahrnehmung angeboren ist

Die Tatsache dass es auch im Tierreich sensiblere Artgenossen gibt, spricht für die Vererbungstheorie. Und das macht Sinn. Während die einen Artgenossen mutig vorpreschen und neue Erfahrungen machen, spitzen die anderen die Ohren um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen. Eine Population braucht beides. Die mutigen Macher ebenso wie die Aufpasser und Frühwarner. Die Lauten und die Leisen. Die Extrovertierten und die Introvertierten. Unsere Gesellschaft gibt momentan den lauten, extrovertierten, schnellen und mutigen Mitgliedern noch den Vorzug. Aber das ändert sich.

Auch traumatische Erlebnisse führen zu einer Erhöhung der Sensibilität.

Man kann es sich leicht vorstellen: Ein Kind muss, um das eigene Überleben unter schwierigen Umständen zu sichern, all seine Antennen ausfahren. Nicht nur der gewalttätige Vater oder die alkoholkranke Mutter könne zu einem traumatischen Erleben im Kleinkindalter führen. Auch liebevolle Eltern, die überlastet sind, Trennung durch Krankenhausaufenthalte oder emotional blockierte Eltern können beim Baby den Existenzsicherungsmodus auslösen. Alle Anzeichen der Umgebung werden dann mit besonders geschärften Sinnen genauestens wahrgenommen, um durch Verhaltensanpassung (Schreien oder sich unauffällig machen) die Zuwendung und damit das Überleben zu sichern. Es kann also auch ein frühkindliches Wahrnehmungstraining für feine Schwingungen dazu führen, das ein Mensch zu einem hochsensiblen Erwachsenen werden lässt.

Unsere Lebensführung spielt ebenfalls eine große Rolle

Zusätzlich zu der Frage, ob angeboren oder entwickelt müssen wir auch noch einen Blick auf unsere moderne Lebensweise werfen. Es scheint heute völlig normal zu sein, ständig erreich- und ansprechbar zu sein. Smartphone, Musikhören, Fernsehen, Computer, Lärm, Zeitdruck, ein Zuviel an Anforderungen (auch in der Freizeit) können auch beim durchschnittlich veranlagten Menschen zu einer starken Überreizung führen mit Symptomen, die an Hochsensibilität erinnern. Auch die Ernährung spielt hier eine große Rolle. Es kann also durchaus sein, dass du in einer akut sehr belasteten Lebensphase in den Tests als hochsensibel abschneidest, obwohl du vielleicht in deiner Kindheit keine Auffälligkeiten in diese Richtung gezeigt hast.

Warum es letztlich egal ist, woher du deine Veranlagung hast.

Ich verstehe den Wunsch vieler Menschen zu wissen, woher ihre Veranlagung kommt. Und es ist auch gut ihm eine Weile nachzuspüren. Aber letztlich ist das nicht entscheidend. Viel wichtiger ist es zu schauen, was du jetzt – in dieser Lebenssituation – aus dir machst.

Wenn du unter deiner Reizempfindlichkeit leidest: Was kannst du tun, um einen angemessenen Umgang mit dir selbst zu finden? Wo findest du Gutgehen und Entspannung? Was musst du ändern, damit dein Leben besser passt, dir mehr entspricht?

Und wenn du merkst, dass viel mehr in dir steckt, als du derzeit lebst: Lass nicht locker, deine Talente zum Blühen zu bringen und alte Begrenzungen aufzulösen. Dafür bist du hier. Um das zu leben, was in dir steckt!

Wir Hochsensiblen sind auf einem guten Weg. Wir beginnen, unsere Veranlagung ernst zu nehmen und stehen immer mehr zu unseren Besonderheiten. Es braucht noch Feinschliff und mehr Miteinander, damit wir eine starke Stimme bekommen, aber ich bin zuversichtlich: Die Zeit der sensiblen Naturen kommt. Schön, dass du dabei bist.

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