Echtes Erleben und was das Gehirn daraus macht

Echtes Erleben und was das Gehirn daraus macht

Hast du schon einmal beobachtet, dass du eine schöne Situation erlebst und dass sich im Nachhinein deine Sicht darauf ganz stark verändert hat? In der Situation warst du vielleicht fröhlich, gut im Kontakt, hattest wertvolle Gedanken und eine heitere Stimmung. Doch nach zwei Tagen beginnen Gedanken wie: Bestimmt konnte er/sie mich nicht leiden, da war diese komische Situation, wo xyz passiert ist und der dann so reagiert hat… Ich brauche da was anderes… das wir viel zu oberflächlich…ich bekomme nie das, was ich brauche… und verstanden hat er/sie mich auch nicht …

Die Situation oder Begegnung, die dich eigentlich fröhlich und positiv gestimmt hat, bekommt im Nachgang plötzlich eine ganz andere Färbung. Es ist der Unterschied zwischen echtem Erleben und dem, wie das Gehirn dieses Erleben anschließend (um-)deutet.

Das echte Erleben ist immer ein gegenwärtiger Zustand und über das Gefühl erfahrbar. Hier geschieht Wahrnehmung.

Wahrnehming ist immer gegenwärtig. Sie kann nicht in der Vergangenheit oder Zukunft passieren. Wahrnehmung passiert JETZT.

Die Umdeutung dagegen geschieht im Denken an etwas Vergangenes. Ihr fehlt, wenn sie passiert, der Zugang zum Erlebten. Sie ist also ein Denkergebnis, das aufgrund innerer Muster zustande kommt. Diese Umdeutung geschieht auch bisweilen im Coachingprozess (in dieser krassen Form zum Glück sehr selten): Wir haben während der Sitzung eine gute, echte Verbindung, kommen wesentlichen Aspekten auf die Spur, Erkenntnisse purzeln, gleichzeitig ist es leicht und heiter und der Mensch verlässt angehoben, erleichtert, hoffnungsvoll und ganz gelöst die Praxis. Und nach einiger Zeit kommt ein Resumee, das sich wie ein kompletter Verriss liest und mit der Situation überhaupt nichts zu tun zu haben scheint.

Was passiert da?

Natürlich könnte es sein, dass ein Mensch sich sehr verstellt hat, dass er etwas vorgibt, was sich in ihm ganz anders darstellt. Aber das kommt mE selten vor. Was aber häufiger passiert, ist, dass das Gehirn im Nachgang die Situation umdeutet. Es wird nachträglich eine Interpretation vorgenommen, die vom Erleben abweicht. Und zwar hat das mit den inneren Mustern zu tun, von denen ein Mensch geprägt ist. Wenn ein solches Muster zB so aussieht, dass diese Form an Positivität, Verbundenheit und Heiterkeit aufgrund alter Erfahrungen im inneren System nicht vorgesehen ist, sondern ein Mensch sich eher mit Einsamkeit und Schwere identifiziert, dann ist das Gehirn bemüht, den gewohnten, vertrauten Zustand wieder herzustellen. Das heißt, es deutet die Situation um. Man nennt das Homöostase. Das Gehirn nimmt vielleicht einzelne Worte her und sagt: „Ah ja, siehste, das ist typisch, da hat er/sie genau das gesagt, was ich schon kenne, das kann man ja nur so verstehen und das war wieder das, was schon immer passiert…“ usw.  Es überschreibt die gemachte Erfahrung und lässt alles weg, was nicht in das gewohnte Denken passt, in diesem Beispiel Freude, Verbundenkeit, Heiterkeit…

Das kann das dazu führen, dass Menschen eine Situation, in der sie sich heiter und fröhlich fühlten, plötzlich sehr negativ sehen.

 

Solche Umdeutungs-Phänomene hat jeder Mensch. Die Frage ist, ob man sie erkennt.

Kannst du wahrnehmen, wenn sich deine Sicht auf eine Situation nachträglich verändert? Das ist ein entscheidender Punkt, um dir selbst auf die Spur zu kommen in der Neigung, Enttäuschung oder Leid zu kreieren.

Es ist wichtig zu erkennen, dass das, was dein Verstand dir vorgibt, nicht die Wahrheit ist. Schon gar nicht die absolute Wahrheit; sondern, dass dein Verstand gerade einem vertrauten Denkmuster folgt, das vertraute Gefühlen produziert.

Die Erkenntnis dieses inneren Ablaufs birgt die Chance auf ein Durchbrechen des Musters. Das Erkennen, dass du dir nicht alles glauben darfst, was du denkst, ist ein ganz entscheidender Punkt dafür, dich von diesen altevertrauten Denkabläufen zu lösen und Neues in dein Leben zu holen. Das Neue war in der erlebten Situation bereits enthalten (sonst hätte dein Inneres nicht so reagieren müssen). Es an dich heran zu lassen und zu integrieren ist ein mutiger Schritt.

Denn damit betrittst du gefühlt Neuland.

 

 

Bild: pixabay

2 Kommentare
  • Soeinfach?
    Antworten

    Das ist sehr zutreffend beschrieben für mich.
    Erlebte Freude wird im Nachhinein umgedeutet und auch kritisch bewertet: Du warst übermütig, drüber, warum so ausgelassen, hast die Anderen in dem Augenblick nicht gesehen……!
    Es ist mir schon geglückt, die Freude in einem (inneren) Bild „einzufrieren“ und dann kann ich es wieder sehen, wenn ich will.
    Tatsächlich bleiben freudige Elemente, die mit jedweder Art von Körperlichkeit zusammen auftraten länger im Erleben (Wohlfühlmassage)

    13. September 2024at20:06

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